Montag, 25. Oktober 2021

Totentage im November

Beleuchtete Gräber auf dem St. Barbara Friedhof in Linz (Pressebild)
Der November rückt heran und damit auch die christlichen und staatlichen Totengedenkttage, zuerst Allerheiligen und Allerseelen, dann der Volktstrauertag und der Ewigkeitssonntag. Für die Zeitshrift "Ohlsdorf-Zeitschrift für Trauerkultur" haben wir das zum Schwerpunkt des nächsten Heftes genommen. Olga Reher schreibt über die den "Tag der Toten" in Mexiko, Norbert Fischer berichtet vom Friedhofsgeschehen an diesem Tag in Murcia in Spanien und ich habe mich ein wenig mit Geschichte und Brauchtum von Allerseelen in Deutschland und Europa beschäftigt. Hier eine Kurzfassung meiner Erkenntnisse, die dann noch ausführlich in der Zeitschrift zu lesen sind, die Mitte November erscheinen wird:


Die Christenheit kannte schon im alten Rom Festtage, an denen ausdrücklich aller jener Toten gedacht wurde, die man als Heilige und Märtyrer verehrte. In Irland wurde diese Gedenkzeit zum Ende des 8. Jahrhunderts auf den Novemberanfang gelegt, der als Beginn des keltischen Jahres gilt und zugleich den Winteranfang markiert. Dazu gehörte der Glaube, dass sich in dieser Zeit die Welt der Toten und der Lebenden für eine Nacht überschneiden und die Seelen nach Hause zurückkehren können. Sie wurden willkommen geheißen und bewirtet, auch um sie wohlwollend zu stimmen, damit sie keine Schaden anrichteten. 

Das Allerseelenfest wurde in der Kirche durch den Odilo von Cluny in der Zeit nach 1024 eingeführt. Den Hintergrund bildeten die Vorstellungen vom Fegefeuer als Ort, an dem die Seelen auf das Jüngste Gericht warten. Die die Reformatoren zerstörten diesen Glauben und verlegten den Totengedenktag um einige Wochen. In beiden Religione besucht man die Gräber, reinigt und schmückt sie zum Andenken an die Toten. 

In katholischen Regionen gehört liturgischen Feier eine traditionelle Friedhofsprozession, bei der die Gräber gesegnet werden; so zum Beispiel auf dem Linzer St. Barbara-Friedhof, wo nachts Kerzen auf den Gräbern leuchten, wie auf allen katholischen Friedhöfen. Übrigens feiert im Westteil dieses Linzer Friedhofs auch die evangelische Kirche am 1. November das Totengedenken. In diesem Jahr gibt dort man außerdem mit der Ausstellung „Der Tod in den Religionen der Welt“ den zahlreichen Friedhofsbesucher*innen die Möglichkeit sich mit Jenseitsvorstellungen und Ritualen rund um Sterben und Totengedenken in den großen Weltreligionen und auch in unbekanntere Kulturen, Konfessionen und religiösen Traditionen auseinandersetzen. Dazu gibt es im Vorfeld von Allerheiligen ein Gesprächsangebot von Linzer Seelsorger*innen und Trostbänder und Trostkarten werden verteilt. Kinder können Perlenarmbänder basteln. Und wer will, kann sich persönlich segnen lassen.

Eine besondere Tradition findet sich auf den Friedhöfen in Mainz. Dort wird der sogenannte Newweling entzündet, eine besondere Kerzenform, deren Ursprung unbekannt ist. Im 19. Jahrhundert und noch bis in die 1960er Jahre war der Besuch der Gräber zu Allerheiligen und Allerseelen so verbreitet war, dass z.B. in Wien vom Magistrat eine spezielle Verkehrsregelung für die Pferdewagen und Fußgänger verfügt wurde. Im Brauchtum und im Volksglauben blieben lange noch vorchristliche Vorstellungen erhalten. Darüber gibt unter anderem das Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens Auskunft, in dem im 19. Jahrhundert Informationen über das Volksbrauchtum gesammelt worden sind. So glaubte man zum Beispiel man in der Oberpfalz, dass sich die Seelen das ganze Jahr auf diese Zeit freuen. Sie haben vom Mittagsläuten am Allerheiligentage an Freiheit, das Fegefeuer zu verlassen und ihre alten Wohnungen wieder aufzusuchen. Am nächsten Morgen „beim ersten Läuten müssen sie wieder von dannen“. 

Zopfgebäck zu Allerseelen nach Höfler Taf. V.
Um den Armen Seelen im Fegefeuer Erleichterung zu verschaffen, entstand der Brauch auf dem Friedhof oder direkt am Grab die Armen zu speisen und mit Spenden zu bedenken. Aus Basel sind zum Beispiel Stiftungen aus dem 15. Jh. „pro panibus super sepulchro ipso ponendis et postea pauperibus erogandis" bekannt. Dazu wurde und wir in vielen Gegenden ein spezielles Gebäck hergestellt. So gibt es z.B. im süddeutschen Sprachraum noch heute den Allerheiligenstriezel (auch Strietzel, Allerseelenzopf, Seelenspitz, Seelenbrot, Seelenwecken oder Allerseelenbreze genannt). Aus der Gegend von Berchtesgaden und Tirol berichtet Max Höfer, der am Anfang des 20. Jahrhunderts zu diesem Thema forschte, dass am Allerseelentage Kinder dort scharenweise von Haus zu Haus zogen und mit dem Rufe: „Bitt gar schön ums Stuck!" das sogenannte Seelen-Stuck erbettelten. 

Die Feier des Allerseelenfestes hat im Laufe der Zeit viele unterschiedliche Formen angenommen, die einander immer wieder wechselseitig beeinflusst haben und noch heute beeinflussen. Das lässt sich an der Übernahme des Brauchtums zu Halloween erkennen, wenn seit einigen Jahrzehnten auch hierzulande Kinderscharen von Haustür zu Haustür ziehen, um Süßigkeiten zu erbetteln; ein Brauchtum, das einst in Europa zuhause war und dann mit der Emigration der Iren nach Amerika auswanderte, von wo es wieder zu uns zurückgekommen ist. 

Geister vor der Haustür, Halloween 2021 (Foto Leisner)

 

Literatur: Max Höfler, Die Gebildbrote zur Allerseelenzeit, in: Zeitschrift für Österreichische Volkskunde, XIII. Jg., Wien 1907