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von Grab und Memoria, Wilhelm Fink Verlag |
Das programmatische Ziel des o.g. Sonderforschungsbereiches an der Humboldt-Universität wird auf seiner Website als "die interdisziplinäre Kontextualisierung der produktiven Aneignungen und Transformationen antiker Wissenschaften und Künste" beschrieben. Vielleicht übersetzt man dieses Ziel am verständlichsten damit, dass mehrere Disziplinen gleichzeitig das jeweilige Umfeld erforschen, in dem zu bestimmten Zeiten wissenschaftliche und künstlerische Werke der Antike in das jeweils zeitgenössische Denken und Handeln übertragen worden sind?
In diesem Blog muss die Frage gestellt werden, inwieweit die Gräber in den englischen Gärten mit der Geschichte der historischen Friedhöfe in Verbindung stehen. Zu diesem Thema gibt es in dem Tagungsband eine ganze Reihe von interessanten Beiträgen. Daneben aber stehen weitere Beiträge, die auf verschiedene Weise das Thema der Antikenrezeption in den Blick nehmen, wie zum Beispiel der Bericht von Horst Bredekamp zu "Bomarzo - Neues vom ältesten Lanschaftsgarten" oder die mit einer CD mit Musikbeispielen unterlegten Ausführungen von Joachim Kremer über "Trauer, Erinnerung und Trost – Musikalische Memoria in der Frühen Neuzeit".
Der Beitrag von Sascha Winter über das Totengedenken im
Irrhain des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg um 1700 weist auf ein frühes
Beispiel für die Bedeutung des Waldes in der Erinnerungskultur hin. Dort wurde
zwar nicht begraben, aber der Wald wurde zu einer Art "Kirchhof";
einem Bezirk des Gedenkens und der Erinnerung, in dem anfangs Tafeln an den
Bäumen aufgehängt und später sogar Monumente für verstorbene Mitglieder der
Dichtervereinigung errichtet wurden.
Marcus Becker berichtet über das Grabmal und den
Gartenkenotaph die Mätresse des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., Julie
von Voß. Dabei geht es besonders um das höfische Ränkespiel, in dem die
Beteiligten mit Hilfe von Erinnerungszeichen Einfluss zu nehmen versuchten.
Ähnlich macht Anna Ananieva in ihrem Text sichtbar, wie die
Witwe des 1801 ermordeten Zaren Paul I. im Landschaftspark ihres Schlosses in
Pavlosk bei St. Petersburg einen Mausoleumsbau errichten ließ, der zwar ein
opulentes Grabmal, jedoch keine Bestattung enthält. Mit dieser individuellen
Gedächtnisstiftung für ihren Gatten konterkarierte sie erfolgreich die
"damnatio memoriae", die Paul I. drohte.
Zu nationalen Pilgerstätten wurden die Grabstätten der
Gründerväter und Präsidenten der jungen USA, wie Michael G. Lee aufzeigt. Er
beschreibt, wie die Gartengräber von George Washingtons in Mount Vernon und
Thomas Jeffersons in Monticello entstanden und schon früh zu Publikumsmagneten
wurden. Interessant ist dabei zu sehen, wie sich dort schon im 19. Jahrhundert
der Gräbertourismus mit solchen Ausformungen, wie der Jagd nah Souvenieren und
dem Wunsch nach melancholischen Emotionen, entwickelt hat. Das führte im
Endeffekt zu einer Musealisierung der Anlagen, die noch heute hoch in der Gunst
des amerikanischen Publikums stehen.
Clemens Alexander Wimmer berichtet von den königlichen
Beisetzungen im Charlottenburger Mausoleum und zeigt, wie das Hofzeremoniell im
Laufe des 19. Jahrhundert die Teilnahme der Öffentlichkeit immer mehr
berücksichtigte.
In seinen für mich besonders interessanten Beitrag
untersucht Michael Niedermeier das Drehbergfest beim Wörlitzer Park. Unter
Auswertung einer großen Zahl von zeitgenössischen Quellen beleuchtet er die Durchführung
dieser Veranstaltungen, ihre sportlichen Momente und ihre Zielsetzung als
"Totenagon", also der Antike nachempfundene Kampfspiele zu Ehren
eines Verstorbenen. Die Spiele in Wörlitz gehen allerdings dem Tod ihres
Veranstalters, des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau weit vorraus und sind von
der Hoffnung getragen, dass die Teilnehmer ihn später nach Eintritt seines
Todes - in Verbindung mit der Erinnerung an diese Feste - im Gedächtnis
behalten. Niedermeier zeigt auch auf, wie sich in direktem Anschluss an diese
Feste, die von einer großen Zahl von Besuchern begleitet wurden, ein
patriotischer Turnerkult entwickelte, bei dem die Sportplätze mit Gräbern
sportlicher Vorbilder verbunden wurden. Dazu gehört auch das 1784 errichtete
Philantropinum Schnepfental, wo sich in der Nähe historischen Turnplatzes noch
heute ein Wäldchen befindet, in dem die Grabstätten der Gründer und vieler
Lehrer liegen.
Interessant ist an diesen Beiträgen, dass die Verbindung von
Grab und Parkanlage von der Seite der Benutzung und Inszenierung der
Landschaft, die meist im Sinne höfischer Repräsentation geschah, betrachtet
wird. Durch die teilweise ausführliche Heranziehung von Quellen werden so ganz
neue Einblicke in die zeitgenössische Bedeutung der Anlagen möglich und gerade
in den beiden "Memorial-Wäldern", dem Waldstück im Irrhain bei
Nürnberg und dem - sehr frühen, wenn nicht frühesten - Waldfriedhof in Schnepfental
kann man Vorläufer der Waldfriedhofsidee erkennen, die am Anfang des 19.
Jahrhunderts mit dem Münchener Waldfriedhof seine erste kommunale Ausformung
erhielt.
Natürlich entsprechen die Beiträge dem hohen
wissenschaftlichen Anspruch der Veranstalter, weshalb sie sich nicht alle
gleich flüssig lesen. Doch wird das aufgewogen von der Fülle von Informationen,
Beziehungslinien und neuen Einblicken, mit denen die Autoren ihr jeweiliges
Fachwissen vermitteln. Zahlreiche Abbildungen - allerdings nur in Schwarz-Weiß
- illustrieren die Darlegungen.
Annette Dorgerloh, Michael Niedermeier,Marcus Becker (Hg.),
Grab und Memoria im frühen Landschaftsgarten, Paderborn 2015, Wilhelm FinkVerlag, 318 Seiten, inkl. CD-ROM, 128
s/w Abb., EUR 39.90