Mittwoch, 14. Dezember 2016

Gedächtnislandschaften in Geschichte und Gegenwart

Buchcover: Fischer, Gedächtnislandschaften
in Geschichte und Gegenwart
Norbert Fischer hat seine Vorlesungen im Rahmen der Otto-Freising-Gastprofessur an der Katholischen Universität Eichstädt dazu genutzt, seine langjährigen Forschungen zur Sepulkralkultur unter dem Begriff der "Gedächtnislandschaft" zusammenzufassen und damit seine teilweise schon einzeln veröffentlichten Fallstudien unter den "Kategorien 'Raum' und 'Landschaft' aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit der symbolischen Bedeutung der Gedächtniskultur" zu verknüpfen (S. 7). Ihm geht es dabei um materialisierte Formen der Gedächtniskultur, die dann zur Gedächtnislandschaft werden, "wenn sie in räumlicher und symbolischer Verdichtung gestaltet und wahrgenommen werden" (S. 9). Den Begriff Landschaft definiert er dabei als einen "als zusammenhängend und homogen empfundenen Raumausschnitt - sei es unter naturästhetischen Aspekten 'als schöner Gegend', sei es als identitätsstiftende kulturelle Formation" und damit als "kulturell geprägter Raum, der unter dem Interesse einer besonderen Formation, Gestaltung oder Organisation reflektiert wird". Landschaft wird damit zugleich sowohl zum Oberbegriff für ein bestimmtes räumlich gebundenes und materiell gestaltetes Erbe, als auch für einen Fundus von historisch, gesellschaftlich und kulturell bestimmten Ideen und Wahrnehmungsformen. 


Diese Definition bildet die Klammer, unter der Norbert Fischer in den folgenden vier Kapiteln kulturelle beziehungsweise regionale Räume vorstellt, die von Tod, Trauer und Erinnerung geprägt sind. Der erste Abschnitt ist unter dem Titel "Das materialisierte Jenseits: Tod, Trauer und Landschaft" der Entwicklung der Friedhöfe im bürgerlichen Zeitalter gewidmet, als "Landschaft zum irdischen Ersatz für das verloren gegangene Paradies, zum profanen 'Heiligtum'" wurde (S. 22) und geht über die Reformzeit bis zu der heute wieder auferstandenen Natursehnsucht, die sich in so unterschiedlichen Formen wie den neuen Waldbestattungen aber auch Naturlandschaften auf Friedhöfen materialisiert.   

Unter dem Titel "Gedächtnislandschaften des Krieges" behandelt er nicht nur jene Gestaltungen von Soldatengräbern des Ersten Weltkrieges, die bald auch die Reformfriedhöfe der Folgezeit beeinflusst haben, sondern auch Relikte des Zweiten Weltkrieges und verweist auf die These des Historikers Malte Thiessen, dass Spuren des Bombenkrieges im Alltag als "Erinnerungsimpulse" und "Beglaubigung" der eigene Erinnerung fungierten (S. 39).

Kommt auch im Buch vor: Das Thousla-Kreuz
auf der Isle of Man (Foto Barbara Leisner 2015) 
Unter "Regionale Gedächtnislandschaften: Das Beispiel des maritimen Raumes" finden sich jene Forschungen zusammengefasst wieder, in denen der Autor schon an verschiedenen Stellen jene Memorials vorgestellt hat, die hauptsächlich in den Küstenlandschaften der Nordsee dazu dienen die Erfahrungen mit der extremen Natur des Meeres - besonders also an verheerende Sturmfluten und Schiffsunglücke - im Gedächtnis zu halten; Memorials, die sowohl kulturelles Erbe wie regionale Identität repräsentieren.

Das letzte Kapitel ist dem "Public Mourning: Temporäre Trauer im öffentlichen Raum" gewidmet und damit auch der Rückkehr des Todes in die Städte der Lebenden. Denn mit dem Ende der Verlegung der Friedhöfe und damit dem Ende der Leichenzüge - in Hamburg wollte man sie mit der Einrichtung des weit von der damaligen Stadt entfernt gelegenen Ohlsdorfer Friedhofes gleich als "alte Zöpfe" mit abschneiden - war der Tod als öffentliches Ereignis, das jeden etwas anging aus der Öffentlichkeit verdrängt worden. An zahlreichen Beispielen zeigt Norbert Fischer jetzt, wie er in anderer Form wieder seinen Platz inmitten des Lebens beansprucht.

So ist zwar manches, was in diesem Buch zu lesen und in anschaulichen Bildern auch zu sehen ist, schon anderenorts veröffentlicht worden, trotzdem sind der Überblick, den er Autor hier von einer neuen Perspektive aus vorlegt, und seine Interpretation der Landschaft unter dem Gesichtspunkt von Tod und Erinnerung erhellend und weiterführend


Norbert Fischer, Gedächtnislandschaften in Geschichte und Gegenwart. Kulturwissenschaftliche Studien. Otto von Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Springer Verlag 2016, 101 S., zahlreiche farbige Abbildungen, Softcover 34,99 Euro, E-Book 12,99 Euro