Dienstag, 14. Januar 2025

Neue Schauplätze der Trauer

Norbert Fischer und Simon J. Walter (Hrsg.), Neue Schauplätze der Trauer. Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes, Düsseldorf 2025, 162 Seiten

Hier eine Information für alle, die in oder in der Nähe von Hamburg wohnen: Am Montag, 7. April 2025, 15.00 Uhr findet die Öffentliche Buchvorstellung dieser Publikation durch die Herausgeber Norbert Fischer und Simon Walter auf dem Ohlsdorfer Friedhof im Forum Ohlsdorf (Cordeshalle) statt. Veranstalter sind der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e.V., die Hamburger Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft e.V. und die Stiftung Deutsche Bestattungskultur. Der Eintritt ist frei, für Getränke wird gesorgt. Um formlose Anmeldung wird gebeten, unter: norbertfischer@t-online.de

Mit dem Buch „Neue Schauplätze der Trauer“ thematisieren die Herausgeber eine öffentliche Erscheinungsform der Trauer, die sich seit den 1990er Jahren immer häufiger in spontanen Gedenkstätten außerhalb von Friedhöfen manifestiert. Die Autorinnen und Autoren dieses Buches gehören dabei teilweise zu den Studierenden der Empirischen Kulturwissenschaft an der Universität Hamburg.

Am Anfang der Beiträge steht ein Rückblick auf öffentliche Gedenkorte aus älteren Zeiten. Klein- und Flurdenkmäler, also zum Beispiel Bildstöcke und Sühnesteine, erinnern besonders im süddeutschen Raum noch heute an Unglücksfälle oder Mordtaten in vergangenen Jahrhunderten und prägen so die Kulturlandschaft. Oft wird dort zum Gebet für die Toten aufgerufen und es werden Blumen niedergelegt oder Kerzen entzündet, also rituelle Trauerhandlungen ausgeführt, die auch heute noch an Trauerorten aktuell sind. Die darauf folgenden Beiträge stellen dann Schauplätze vor, die erst in neuerer Zeit entstanden sind. In ihnen manifestiert sich Trauer und Gedenken in sehr unterschiedlichen Gestaltungsweisen. So wird dem Konzept der Trauerhaltestelle nachgegangen, die erstmals auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingerichtet worden ist. Dieser spezielle und neuartige Ort für das öffentliche Gedenken bietet explizit die Möglichkeit, private Trauer um einen Verlust in Form von Text, Bild oder Gegenständen anonym und für einen – wetterbedingt – begrenzten Zeitraum der Öffentlichkeit zu präsentieren.


Angemerkt werden kann, dass die Ohlsdorfer Friedhofsverwaltung einen zweiten gemeinschaftlichen Trauerort unter dem Namen „Gedanken an dich – ein Ort der Erinnerung“ eingerichtet hat, an dem Trauernde ihrer Verstorbenen, die anderswo beigesetzt wurden, namentlich gedenken und Blumengrüße und Kerzen ablegen können. Dieses Thema des fehlenden Grabes wird in der Vorstellung maritimer Trauer- und Erinnerungsorte für Seebestattungen aufgenommen. Sie sind inzwischen sowohl auf Friedhöfen wie in der unmittelbaren Nähe der See entstanden. Ein weiterer Beitrag widmet sich den „Himmelsbäumen“, einem Gedenkort für verstorbene Kinder auf der Insel Föhr, der zugleich einen Ort der Zusammenkunft und gemeinsam Aktion für trauernde Eltern bildet.

Dass Gedenkorte auch äußerlich unsichtbar bleiben können, wird im Zusammenhang mit dem Nagelbombenanschlag von 2004 in der Kölner Keupstraße thematisiert. Das schreckliche Geschehen, für das zeitweise die unschuldigen Betroffenen verdächtig wurden, hat auch zwanzig Jahre nach der Tat keinen öffentlichen Ausdruck in Form eines Denkmals gefunden. An der Untersuchung des Erinnerungs- und Kunstprojektes „Stolpersteine“ in Hamburg wird dann deutlich, wie schwierig Trauern und Erinnern gerade dann ist, wenn Schuld und Verdrängung eine wichtige Rolle spielen. Nicht immer aber wird juristisch sicher festgestellt, wer an einem Mord oder Todschlag schuldig geworden ist und wer das Gedenken immer wieder von neuem sabotiert, wie an dem „Fall Malte L.: Etappen eines schwierigen Gedenkens im öffentlichen Raum“ aufgezeigt wird.

Ein weiterer Beitrag widmet sich sehr ausführlich dem Unfalltod der 1969 verstorbenen Sängerin Alexandra und der Gruppe ihrer Fans, die sich noch Jahrzehnte danach um ein inzwischen steinernes Erinnerungsmal am Unfallort kümmert. Hier wird eine Berühmtheit Jahrzehnte nach ihrem Tod immer noch verehrt und in vielfältiger Weise erinnert. Dagegen ist erst in jüngster Zeit zu beobachten, dass auch der Tod obdachloser Menschen von betroffenen Helferinnen und Helfern im öffentlichen Bewusstsein verankert wird.

Deutlich wird an allen Beiträgen, dass öffentliche Trauer heute viel mehr Menschen als in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu mobilisieren vermag und sozusagen wortwörtlich auf die Straße bringt. Sowohl beim Tod bekannter Persönlichkeiten als auch, wenn Unschuldige durch einen Anschlag oder einem Mord ums Leben kommen, werden Blumen, Kerzen und Erinnerungsstücke vor Ort – zum Teil in riesigen Mengen und damit von einer riesigen Menschenmenge – abgelegt und Bilder des Trauerorts werden durch die Medien weltweit verbreitet; wie gerade bei dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt wieder zu sehen war.

Den Herausgebern dieses Buches ist zu danken, dass sie die Untersuchung dieser neuen Schauplätze der Trauer angeregt haben, so dass ihre Geschichte und die Hintergründe ihrer Entstehung greifbar werden. Interessant wäre es sicher, wenn diese Einzelfalluntersuchungen auch in den digitalen Raum hinein ausgedehnt würden. Wie vielfältig die Debatten um die Erinnerung vor Ort geführt werden und wie vielfältig die Bedürfnisse und Erwartungen dahinter sein können, wird aus den Beiträgen auf jeden Fall deutlich.