Im Oktober letzten Jahres habe ich hier schon etwas zum Thema Farbe auf dem Friedhof gepostet. Inzwischen habe ich dazu in der Friedhofkultur (Mai/ Juni 2025, S. 26-28) einen längeren Beitrag veröffentlicht. Weil dort aber nicht alle Fotos untergekommen sind, die eigentlich dazu gehören. Stelle ich den Text und alle Bilder hier noch einmal ein:
Farbe auf dem Friedhof
Schwarz gilt spätestens seit dem 19. Jahrhundert in Europa als die Farbe des Todes und der Trauer. Nicht nur die bürgerliche Trauerkleidung musste schwarz sein, auch auf den neuen parkartigen Friedhöfen wurden mit Vorliebe tiefschwarz polierte Grabmale aufgestellt, sofern man nicht den weiß leuchtenden italienischen Carrara-Marmor für Skulpturen und Reliefs wählte. Wenn das Geld für so kostbare Gesteine nicht ausreichte, so erhielten kleinere Grabmale wenigstens tiefschwarz eingefärbte Glasplatten als Träger von bildlichen Symbolen und Inschriften.
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Schwarz-Schwedischer Obelisk, Buschey-Friedhof, Hagen |
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Trauernde aus weißem Marmor, Grabmal Dralle von Hans Damman 1913, Ohlsdorfer Friedhof Hamburg |
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Schwarze Glasplatte mit Engelsfigur, Grabstätte Roosen, Ohlsdorfer Friedhof Hamburg |
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Grabmal des Caelius, farbige Nachbildung, Römermuseum, Xanten |
Auch aus dem späten Mittelalter sind bunte Grabmale erhalten, allerdings meist nur sofern sie in Innenräumen und nicht auf den Friedhöfen Platz gefunden haben. So sind im Münster in Bad Doberan mehrere farbig gefasste figürliche Grabmale aufgestellt; darunter die Grabtumba mit den Liegefiguren des Herzogs Albrecht III. von Mecklenburg (gest. 1412) und seiner Gemahlin Richardis (gest. 1377). Auffällig an ihrem Abbild ist der reiche Faltenwurf des außen roten und innen weißen Mantels im Stil spätgotischer Madonnen.
Grabtumba für Herzogs Albrecht III. (gest. 1412) und seine Frau Richardis (gest. 1377) |
In ähnlicher Weise konnten in der Renaissance Epitaphien, die an den Kirchenwänden zur Erinnerung an Verstorbene und als Grabmal angebracht wurden, bunt bemalt sein. Der Rahmen des Epitaphs für Volprecht I. (gest. 1563) und Apollonia Riedesel, das sich heute in der Stadtkirche in Lauterbach (Hessen) befindet, zeigt die farbig ausgelegten Familienwappen. Auch die Hautpartien der im Mittelteil dargestellten Verstorbenen, also Gesichter und Hände, sind lebensnah bemalt.
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Epitaph der Familie Riedesel, Stadtkirche Lauterbach (Hessen) |
Zum Ende des 18. Jahrhunderts entstand dann mit dem Klassizismus die Idealvorstellung von antiken Plastiken, die nach der – irrigen – Vorstellung der damaligen Zeitgenossen – immer steinsichtig, also meist aus weißem Marmor gehauen waren. Dieser Idee eiferten die Künstler nun nach. In der Folge wurde diese Vorstellung auch für die neuen bürgerlichen Grabmale von Bedeutung, die auf den parkartigen Friedhöfen aufgestellt wurden. Mit dem Aufstieg des Bürgertums und der fortschreitenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten sich immer mehr Menschen aufwendige Grabmale sowohl in Form von Plastiken als auch in Form von Obelisken, Säulen und Grabmalwänden leisten. So nahmen die letzteren – inzwischen industriell herstellbaren –Grabsteine auf den Friedhöfen immer mehr Raum ein.
Erst mit dem Beginn des 20. Jahrhundert finden sich, allerdings vereinzelt, auch wieder farbige Materialien wie zum Beispiel Keramik oder bunte Glasmosaike an den Grabmalen. So zeigt das ehemalige Grabmal Storm auf dem Ohlsdorfer Friedhof ein halbrundes buntes Mosaik mit einer Sanduhr vor den Strahlen einer untergehenden Sonne. Das Bild wird oben von einem Regenbogen und einem blauen Band mit Sternen eingerahmt, während rote Mohnblüten auf Goldgrund den unteren Rand beleben.
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Grabmal Memento e.V. ehemals Storm, seit 2023 Grabstätte des Vereins „Gemeinschaftsgrabstätte St. Georg“, Ohlsdorfer Friedhof Hamburg |
Gern wurden nun auch farbige Majolika-Reliefs nach dem Vorbild der italienischen Renaissance an Grabmälern angebracht. So wurde z.B. auf dem Karlsruher Hauptfriedhof für den Oberbürgermeister Karl Schnetzler eine relativ schlichte Stele errichtet, in die ein solches Tondo mit dem fast vollplastischen Kopf eines jungen Mädchens eingesetzt ist. Ihr bunter Blumenkranz wird durch den leuchtend blauen Hintergrund besonders hervorgehoben. Auch auf dem Alten Friedhof in Tübingen ist ein solches Majolikarelief im Stil der italienischen Renaissance noch erhalten.
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Grabmal Linser (gest. 1925), Stadtfriedhof Tübingen |
Mit der Wiederbelebung der keramischen Techniken seit dem Beginn des 20. Jahrhundert wurden auch vollplastische Grabmale aus farbig glasiertem Ton geschaffen. Als 1934 sein Sohn Günther starb, beauftragte der Leipziger Gynäkologe Dr. Friedrich Richard Bretschneider den Bildhauer Paul Stuckenbruck mit der Ausgestaltung des Grabmals. Dieser schuf ein Erinnerungsmal aus Eisenklinkerziegeln im Stil des Art déco mit einer weiblichen Figur, die mit einem dünnen Gewand bekleidet ist.
Grabmal Bretschneider (gest. 1935), gestaltet von Paul Stuckenbruck, Südfriedhof Leipzig |
Solche farbige Gestaltung bildet allerdings eher die Ausnahme. Weitaus üblicher waren jene rein schwarzen und rein weißen Grabmale und Plastiken in historisierender Gestaltung, die aus dem Ausland eingeführt wurden. Sie waren den Friedhofsreformern der Jahrhundertwende allerdings ebenso wie „protzige“ große Grabmalaufbauten und der Schwarz-Schwedische ein Dorn im Auge. Schwarz-Schwedischer ist ein besonders hartes Gestein, das glänzend poliert werden kann und oft mit goldenen Schriftzeichen versehen wurde.
Die Ansichten dieser Reformer konnten sich nach dem Ersten Weltkrieg immer mehr durchsetzen. Sie wollten die historistische Vielfalt der Grabmale auf den städtischen Begräbnisplätzen des ehemaligen Kaiserreiches durch neue Regeln für die Grabmalsetzung überwinden und legten die Betonung dabei auf den Gedanken der Gleichheit aller im Tod. Das führte zu Vorschriften, die eine weitgehend uniforme Gestaltung von Grabmalen verlangten. Zugleich favorisierten die 1922 vom „Reichsausschuß für Friedhof und Denkmal e. V.“ herausgegebenen Richtlinien für Friedhofs- und Grabmalgestaltung den heimischen Naturstein, sowie neben dem künstlerischen Unikat besonders die handwerkliche Arbeit. Das Thema Farbe kam in diesen Auffassungen, wie eine ästhetisch angemessene Friedhofs- und Grabmalgestaltung auszusehen habe, nicht vor.
Die genannten Richtlinien wurden im Laufe der Zeit auf deutschen Friedhöfen fast flächendeckend eingeführt, so dass deren Bild in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Grabfeldern mit dicht nebeneinander stehenden niedrigen Stelen geprägt war. Die einzigen Variationen ergaben sich dabei durch unterschiedliche Formen der oberen Abschlüsse und die Wahl verschiedenartiger Steinmaterialien. Diese Grabmale konnten industriell vorgefertigt und vor Ort dann mit Symbolen und Schriftzeichen versehen werden, was die Grabmalsetzung „für jeden“ erschwinglich machte.
Erst mit der, durch die Aidskrise am Ende des Jahrhunderts verstärkten, Individualisierung der Ausgestaltung von Abschied und Erinnerung änderte sich auch die Grabmalsetzung wieder. Besonders sichtbar wird das heute an den neuen Grabfeldern, auf denen Kinder gemeinsam bestattet werden. Sie bilden inzwischen auf vielen Friedhöfen bunte und ganz individuell geschmückte Bereiche. Die trauernden Eltern und Geschwister bringen Spielzeug und Windmühlen zu den Gräbern und manche Friedhofsverwaltungen lassen bunt leuchtende gemeinschaftliche Grabmale aufstellen.
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Kindergrabstätte bei Kapelle 2, Ohlsdorfer Friedhof Hamburg |
Inzwischen werden farbige Grabmale offenbar allgemein immer beliebter, auch wenn noch nicht alle Friedhofsverwaltungen diesen Wandel der Bestattungskultur mittragen wollen. So stehen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg verschiedene Grabmale aus leuchtend bunten Glasscheiben, die der Künstler Jörgen Habedank geschaffen hat.
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Grabmal Bartowiak (gest. 2015) von Jörgen Habedank, Ohlsdorfer Friedhof, Hamburg |
Sie haben auch anderswo für Aufmerksamkeit gesorgt, so dass von ihm entworfene farbige Urnenstelen im Herbst 2024 auf dem Friedhof Solingen Wald eingeweiht worden sind. Die Initiative dazu ging vom Pfarrer aus und die Reaktionen waren durchweg positiv.
Sucht man im Internet nach modernen farbigen Grabsteinen, dann findet man eine Vielzahl von Erinnerungsmalen, die farbige Glaselemente mit unterschiedlichen Grabsteinformen verbinden. Dabei kann die Farbigkeit bei modernen Grabmälern sehr unterschiedlich sein und sowohl zurückhaltend wie auffällig schrill ausfallen.
Auf dem Leipziger Südfriedhof findet man zum Beispiel das Grabmal für Margrit Helgenberger: Eine Frauenfigur aus Terrakotta sitzt auf einem bunten Kissen am Boden. Sie und ihre Sitzfläche wurden laut Mitteilung des Künstlers Robert Metzkes vor dem Brennen mit verschiedenfarbigem Tonschlicker bemalt. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer relativ blassen Farbigkeit wirkt die junge Frau, die da sinnend oder trauernd auf der Grabstätte Platz genommen hat, auf den ersten Blick fast lebendig.
Grabmal Helgenberger von Robert Metzkes, 2009, Südfriedhof Leipzig |
Dagegen kann die rosafarbene Plastik auf dem Ehrengrab von Franz West (1947 – 2012) auswärtige Friedhofsbesucher irritieren. Die Wenigsten von ihnen dürften wissen, dass der dort Geehrte in Österreich als bedeutender bildender Künstler galt. Das abstrakte Werk aus Aluminium wurde von ihm selbst geschaffen.
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Ehrengrab für Franz West und Tamuna Sirbiladze (1971-2016), Zentralfriedhof Wien |
Angesichts der vielfältigen Beispiele farbiger Grabmale auf heutigen Friedhöfen, die sich leicht noch vermehren lassen, ist relativ unverständlich, dass es in den letzten Jahren auf dem ländlichen Friedhof in Wallhausen zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung um eine Plastik gekommen ist, die durch ihre leuchtend orange Farbe aus den – ehemals von den Friedhofsreformern so sehr bekämpften – schwarz-schwedischen Steingrabmalen vor Ort hervorsticht.
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Grabmalplastik für Ricardo Schott von dem Berliner Künstler Bertold Grether, 2021, Friedhof Wallhausen, zurzeit auf gerichtlichen Beschluss hin vom Friedhof abgeräumt |
Die Figur eines jungen Mannes, die der Berliner Künstler Bertold Grether 2021 im Auftrag der trauernden Eltern geschaffen hat, musste inzwischen aufgrund eines Gerichtsurteils abgeräumt werden. Grundlage für dieses Urteil bildet die Friedhofsordnung, deren Grabmalvorschriften – teilweise sogar noch im Wortlaut – den Maßstäben der Friedhofsreformbewegung aus den 1920er Jahren entsprechen. Warum die Verwaltung auf diesen veralteten ästhetischen Vorstellungen bestanden und nicht nach einem Kompromiss für die beteiligten Parteien gesucht hat, bleibt eine offene Frage.
Der Wandel der Bestattungskultur hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass das Überleben vieler, gerade auch kleinerer Friedhöfe nur noch eine Frage der Zeit ist. Zudem leiden Friedhöfe immer noch unter dem Vorurteil, dass dort strenge Vorschriften herrschen und individuelle persönliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Hinterbliebenen nicht gegeben sind.
Ein Vorgehen wie in Wallhausen verstärkt unglücklicherweise diesen schlechten Ruf und macht den vielfältigen positiven Bemühungen anderer Bestattungsplätze einen Strich durch die Rechnung. Dabei sollte es meiner Ansicht nach heute das wichtigste Ziel einer Friedhofsverwaltung sein, den Menschen vor Ort, die einen Verlust erlitten haben, einen positiven Ort sowohl für die Bestattung als auch für die Erinnerung an ihre Verstorbenen zu bieten. Zugleich wäre es eine wichtige Aufgabe wohltuende Angebote für die Gemeinschaft der Trauernden zu entwickeln, wie zum Beispiel die Trauercafés, die zurzeit noch ohne Friedhofsbeteiligung angeboten werden. Dazu gehört meiner Ansicht auch eine neue Sensibilität für die individuellen Wünsche der Zugehörigen und so auch für den Wunsch nach mehr Farbe auf dem Friedhof.
Bildnachweis:
Buschey-Friedhof: Von Bärwinkel,Klaus - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=106448290; Dralle: Foto Leisner 1993; Roosen: Foto Leisner 1983; Xanten: Von Jona Lendering - https://www.livius.org/articles/person/caelius/, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=93984137; Herzog Albrecht: Foto Leisner 2021; Riedesel: Von GFreihalter - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19848475; Memento: Foto Leisner 2001; Karlsruhe: Foto Leisner 2011; Tübingen: Foto Leisner 2024; Leipzig: Foto Leisner 2021; Hamburg Kindergrabstätte und Hamburg Bartowiak: Foto Britta Heitmann 2024; Solingen: Foto Jörgen Habedank 2024; Leipzig: Foto Leisner 2011; Wien: Von PicturePrince - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64260292; Wallhausen: Foto Hartmut Schott