Titelseite: Kunst und Memoria (Quelle) |
Das neue Buch teilt sich in zwei große Bereiche: zum einen die Geschichte des Alten Südfriedhofs verbunden mit Beiträgen zur Grabmalkultur, zum a
nderen ein ausführliches Inventar von 186 ausgewählten Grabstätten. Beiden Bereichen merkt man immer wieder das vorausgegangene umfängliche Quellenstudium der Autoren an. Künstlerbiographien, eine Auswahl der wichtigsten Quellen im Original, ein Literatur- und ein gesondertes Quellenverzeichnis, sowie ein Personen- und Grabstättenregister runden die vorangestellten Texte ab.
Untersucht wird das Gesamtpaket jener memorialen Fragestellungen, die historische Friedhöfe zu einer einzigartigen Quelle von Stadt-, Gesellschafts-, Kultur- und Kunstgeschichte machen, als die sie inzwischen immer mehr anerkannt werden. Exemplarisch für den aufblühenden Gedenkkult und die neue gartenkünstlerische Aufgabe der immer mehr ästhetisch durchgestalteten Begräbnisplätze des 19. Jahrhunderts wird die Geschichte der Anlage unter Zugrundelegung sozial- und kunsthistorischer Fragestellungen untersucht und in den Rahmen der industriellen Revolution mit ihren wachsenden Großstädten eingeordnet. Dabei kommen die Autoren zu einer Reihe neuer Erkenntnisse, speziell zur historischen und künstlerischen Einordnung der Grabmalplastiken.
Wilhelm Scheuchzer: Der Alte Südfriedhof 1830 |
In diesem Sinne wurden eine Reihe von Grabmälern für verdiente Männer der Wissenschaft und Kunst von Schülern und Verehrern auf dem Alten Südfriedhof aufgestellt. Die Autoren unterscheiden dabei zwei Typen: Grabmale, die von vornherein als Denkmäler geplant waren und für die Grabplätze auf ewige Zeiten erworben wurden, und solche, denen erst mit der Zeit eine Denkmalfunktion zuwuchs. Dabei galt das Bildnis als das schönste Denkmal. Mit ihm konnte man dem Erinnerten sozusagen Unsterblichkeit verleihen, wobei die Rahmung durch die Friedhofsarkaden diese Bildnisse zusätzlich zu nobilitieren vermochte. Als höchste Steigerungsform der bildnisbezogenen Memoria können die Standbilder gelten, die allerdings im Rahmen der Kritik am überbordenden Denkmalkult des 19. Jahrhundert nicht unangefochten blieben.
Geschickt mischen die Autoren zeitgenössische Stimmen zum Südfriedhof in den Text und können damit aufzeigen. wie stark dieser Ort im 19. Jahrhundert in das soziale Leben der Stadt eingebunden war und zwar sowohl als Ort der Toten, als auch als Ort der Lebenden. Letztere besuchten ihn nicht nur als Begräbnisplatz der verstorbenen Angehörigen, sondern auch um die neuen Kunstwerke zu besichtigen, die dort in den Arkaden und unter freiem Himmel auf- und damit auch ausgestellt waren.
Natürlich erreicht der Blick dabei nur in seltenen Fällen auch die unteren Schichten, da sie nicht über die Mittel für aufwändige Erinnerungsmale verfügten. Aber an der Geschichte des Denkmals, das hundert Jahre nach dem Aufstand der "Oberländer Bauern" von 1705 zur Erinnrung gesetzt wurde, wird immerhin gezeigt, wie die Erinnerung an ein historisches Ereignis, bei dem einfache Leute zu Tode kamen, von Bürgertum und Hofgesellschaft vereinnahmt wurde und der Friedhof sich damit zugleich zu einem Ort überindividuellen Gedenkens durch König und Stadt entwickelte.
Denkmal der Bauernschlacht von 1705
|
Ein weiterer Aspekt betrifft das Grabmal als Kunstwerk. Plastiken und Architekturen galten immerhin schon den Zeitgenossen als "Zierde des Leichenackers und pädagogische Instrumente der Geschmacksveredelung". Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass dem Kunstwert der Grabmäler unter anderem auch die wichtige Aufgabe zukam die Unsterblichkeitswünsche der Memorierten zu gewährleisten. Ein kostbares Grabmal auf einem der priviligierten Plätze unter den Arkaden war schon zu Lebzeiten ein sichtbares Monument des Erfolgs und sollte es auch für die Ewigkeit sein.
Da gelang allerdings nicht immer! Sehr amüsant ist zu lesen, wie die Witwe des Großhändlers Georg Lorenz ihren Mann umbetten ließ um die teuere Grabstätte verkaufen zu können. Erstmals können die Autoren dabei die Satire "Das Grab des Herrn Schefbeck" von Josef Ruederer konkret auf diese - damals in der Münchener Gesellschaft als skandalös empfundene Pietätlosigkeit - beziehen. Aber die Überlebensdauer von Grabmälern konnte auch beachtlich über die übliche Ruhefrist hinaus verlängert werden, wenn ihr hoher künstlerischer Wert anerkannt war. Einfache Grabmäler wurden dagegen wie überall spätestens nach Ablauf der Belegungsfrist abgeräumt.
Neu beleuchten können die Autoren auch die Funktion des Südfriedhof als "Münchener Ruhmeshalle" anhand der Ehrendenkmäler für bedeutende Wissenschaftler und Stadtpolitiker in den Alten Arkaden. Sie war durch die Kriegseinwirkungen fast in Vergessenheit geraten. Jetzt interpretieren die beiden Autoren die Ruhmeshalle als einen Höhepunkt der ganzen Friedhofsanlage und als Verschiebung der Bedeutung des Friedhofs von einem auf das Jenseits und die Auferstehung hoffenden Ort christlichen Totengedenkens hin zu einer vor allem den Lebenden zur Selbstvergewisserung dienenden Gedenkstätte, die ein "wichtiger Ort städtischer Denkmalpolitik" war.
Die Rückbindung der Grabmäler in Bezug auf ihre Topographie, Form, Ikonographie und Materialästhetik an die jeweiligen Auftraggeber bzw. an die Memorierten selbst erlaubt zudem Intentionen und Interessen abzuleiten, welche die Münchner Memorialkultur im 19. Jahrhundert wesentlich bestimmten. So kann nicht nur gezeigt werden, wie die höfische Gesellschaft die alten Arkaden nutzte, indem sie einzelne Bögen durch repräsentative Kapellenanbauten vergrößerte, sondern auch wie das neu aufsteigende Wirtschaftsbürgertum diesen Raum rasch dazu eroberte "ihre durch Mobilität und rapiden wirtschaftlichen Aufstieg erreichte neue soziale Verortung in der Gesellschaft der Residenzstadt zu markieren." Man folgte damit den adeligen Vorbildern, bei denen das Totengedenken jahrhundertelang eine zentrale Rolle für die Identitätsbildung eingenommen hatte.
Die Erweiterung des Friedhofs durch den neuen Campo Santo wird insgesamt als "königliches Gedächtnisprojekt" und "erstes Museum monumentaler Kunst" in München interpretiert. Explizit wird darauf hingewiesen, dass König Ludwig I. dem Friedhof durch die kreuzgangähnliche Anlage mit dem Bezug auf die Certosa in Bologna jene religiöse Aura zurückgab, die er durch ältere Gestaltung mit ihrer Anlehnung an die Revolutionsarchitektur verloren hatte. Zugleich machte der König den neuen Teil zu einem politisch ausgerichteten Erinnerrungsort. Von vornherein griff er dabei in die Stadtpolitik ein, indem er seinen Architekten Friedrich von Gärtner mit der Planung beauftragte. Während des Königs ambitionierte Kunstpolitik im Bereich seiner Bau- und Sammlungspolitik schon untersucht ist, nehmen die Autoren hier erstmals auch seine "Initiativen im Bereich der Künstlermemoria" in den Blick. Nach seiner Abdankung durchliefen die Arkaden des Campo Santo dann nach Ansicht der Autoren eine Metamorphose vom königlichen Gedächtnisprojekt zu einem Ort wirtschaftsbürgerlicher Repräsentation und spiegelten damit unmittelbar die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Verschiebungen in der bayrischen Hauptstadt wider.
Die abschließenden Kapitel des Textteiles nehmen die klassizistische Grabmalkultur auf dem älteren Friedhofsteil ebenso unter die Lupe wie die Frage nach den Vorlagen. Die Autoren können dabei zahlreiche Grabmale bestimmten Vorlagenwerken bzw. auch individuellen Vorzeichnungen namentlich bekannter Münchener Architekten und Bildhauer zuweisen. Sie nehmen besonders die klassizistischen Grabmale ins Blickfeld, gefolgt von der Rückbesinnung auf die christliche Grabmalkunst im zweiten Viertel des 19. Jahrhundert. Eindruckvoll wird die Verbindungslinie zur Certosa in Bologna gezogen, deren "gemalte" Grabmale auf den Arkadenrückwänden in München nachgeahmt wurden. Dabei gehlt der Hinweis auf den Besuch nicht, den der König und sein Architekt Friedrich von Gärtner diesem berühmten Friedhof abgestattet hatten.
Ein weiterer Aspekt, auf den sonst kaum eingegangen wird, ist der Hinweis auf die Polychromie der Grabmale und den Wandel des Farbgeschmacks. Beides kann sowohl durch Farbspuren an den Grabmalen selbst, wie durch die Vorlagen nachgewiesen werden. Gefolgt wird dieser Abschnitt von Anmerkungen zu den Gesteinsmoden und zur Gesteinspolychromie, die besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert aufblühte. Ikonographisch können die Autoren dabei zum Beispiel herausarbeiten, dass eine bestimmte Gesteinswahl als Mittel der stadbürgerlichen Traditionalisierung angesehen werden kann, während andererseits die Wahl von reinweißem Gestein wie z.B. Carraramarmor als Symbol des dezidiert katholischen Glaubens an die unbefleckte Geburt zu gelten hat. Insgesamt wäre zu wünschen, dass gerade dieses Thema in Zukunft noch breiter diskutiert wird. Dazu würde zum Beispiel auch die Bedeutung der im 19. Jahrhundert recht häufig verwendeten farbenfrohen Mosaiken zählen.
Ausführlicher gehen die Autoren auf die Bedeutung der Bronze, aber auch des Zinks als Bronzeersatz und des Eisens als sozusagen Vorläufer der Bronze ein. Dabei heben sie die Neugründung der königlichen Erzgießerei im Jahr 1823 hervor; stellen die wichtigsten Werke der jeweiligen Gießer heraus und betonen die Materialikonographie der Bronze, die in sich schon auf Beständigkeit und Exklusivität hindeutet. Ein kurzes Kapitel stellt zum Abschluss des Textteiles die Restaurierung und ihre vorausgehenden Studien des Grabmal des Weingastgebers Franz Albert d.Ä. vor.
Beginn des Katalogteils (Foto Leisner) |
Insgesamt halte ich Kunst und Memoria inhaltlich und von der Ausgestaltung her für eines der gehaltvollsten und schönsten Friedhofsbücher der letzten Zeit.
Claudia Denk / John Ziesemer
Kunst und Memoria.
Der Alte Südliche Friedhof in München.
Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2014
544 Seiten, 615 meist farbige Abbildungen
ISBN 978-3-422-07227-5
EUR 49,90