Cover von Sieber, Gottesacker, Kohlhammer Verlag 2019 |
Ein erster Hauptteil seiner Forschung gilt dem Thema der städtischen Bestattungsplätze und der Gründe, die ihrer Verlegung ab dem Ende des 15. Jahrhunderts und während des 16. Jahrhunderts geführt haben. Während bisher oft die Verbindung zwischen Friedhofsverlegungen und Reformation gezogen wurde, macht er deutlich, dass in den von ihm untersuchten Städten "die in den Quellen angeführten Platz- und Seuchenprobleme in den Augen der Stadtväter für Handlungsbedarf gesorgt haben"; d.h. dass die innerstädtischen Friedhöfe überfüllt und nach den medizinischen Vorstellungen der Zeit gesundheitsgefährdend waren (S. 160f).
Erst danach widmet er sich der Friedhofsgestaltung. Dabei diskutiert er besonders intensiv das bisher für die Reformationszeit im mitteldeutschen Raum als typisch geltende "Campo-Santo-Modell". U.a. durch die Analyse von Friedhofsdarstellungen auf historischen Stadtansichten, deren Aussagekraft allerdings noch näher untersucht werden müsste, kommt Sieber letztendlich - und nicht nur anhand dieser Bildquellen - zu dem Schluss, dass dieser Friedhofstyp, bei dem mindestens eine Seite von einer Arkadenarchitektur begleitet wird, relativiert werden muss. Er weist sehr entschieden darauf hin, dass in den von ihm untersuchten Städten alle "Nekropolen, sowohl evangelsiche wie auch katholische .. Architekturelemente" aufweisen, "die für das Campo-Santo-Konzept als konstitutiv gelten können". Damit verstellt für ihn die Verwendung des Begriffes in der bisherigen Weise den Zugang zur frühneuzeitlichen Realität.
Erst den folgenden Kapiteln diskutiert der Autor dann Auswirkung der Reformation auf die Bestattungsplätze, die in den von ihm untersuchten Orten, eine schweizerisch-oberdeutsche Ausprägung annahm, die die lutherische Lehre an Rigorisität deutlich übertraf. Deutlich arbeitet er die konfessionellen Unterschiede in der Friedhofsgestaltung und der Bestattungspraxis heraus und vermag zu zeigen, wie stark die Sepulkralkultur jeweils von den wechselnden sozialen und religiösen Verhältnissen vor Ort geprägt war. Zugleich wird aus der Analyse der Quellen klar, wie zerrissen und in sich widersprüchlich das 16. Jahrhundert in bezug auf die Konfessionalität und wie eng der Kampf um Macht mit dem Glauben verbunden war. Da der neue Glauben die altkatholische Vorstellung von Fegefeuer und Ablass vehement ablehnte, wurden neue Riten für die Bestattung und die Erinnerung an die Toten benötigt. Sie schlugen sich sowohl in der Gestaltung als auch in der jeweiligen Haltung zum Ort des Begräbnisses nieder, wie Sieber anhand zahlreicher, informativer Quellenbelege zu zeigen vermag.
Mich persönlich hat der Aufbau der Arbeit auf den ersten Blick leicht irritiert: Der Textteil beginnt mit dem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis. Bei der Diskussion der Verlegung der Friedhöfe in den Reichsstädten fragte ich mich immer wieder, ob denn die Konfession wirklich überhaupt keine Rolle spielte. Sie wird in diesem Teil der Arbeit praktisch kaum erwähnt und erst viel später abgehandelt, wobei dann wieder die Friedhofsverlegungen keine Rolle mehr spielen. Hier hätte ich mir am Anfang eine Zusammenschau von Verlegung und Konfessionalität für jede Stadt und erst später eine überblicksartige Darstellung gewünscht. Trotzdem aber habe ich dieses Buch mit großem Gewinn gelesen. Mit der ungewöhnlichen Faktenfülle und seinem tiefen Eindringen in die spezielle Geschichte der Sepulkralkultur am Beispiel einer bestimmten Region zu in einer Zeit, die von einem tiefgreifenden Umbruch bestimmt war, hat der Autor ein grundlegendes und dazu sehr lebendiges, realtitätbezogenes Bild gezeichnet, an dem künftige Forschungen nicht vorbeigehen können.
Dominik Gerd Sieber, Der konfessionelle Gottesacker. Katholische und protestantische Sepulkralkultur in den oberschwäbischen Reichsstädten in der Frühen Neuzeit. Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen, Band 214, Kohlhammer Verlag 2019, EUR 47,00