Montag, 28. Dezember 2020

Friedhof & Leben - eine Pilotstudie

Cover der Rostocker Pilotstudie
Im letzten März hat die Theologische Fakultät der Universität Rostock zu einem Workshop mit dem Thema "Friedhöfe zwischen Kommunikation, Religion und Gedenken" eingeladen, der leider wegen der Pandemie abgesagt werden musste. Das Treffen war zur Präsentation und Diskussion der Zwischenergebnisse ihrer Pilotstudie zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit kirchlicher Friedhöfe gedacht. 

Jetzt ist die fertige Studie erschienen. Als Motiv für die Forschungsarbeit wird darin die Sorge um den Erhalt der kirchlichen Friedhöfe genannt. Finanziert wurde das Projekt durch Mittel der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, der Stiftung „Kirche mit Anderen“, der „Stiftung Deutsche Bestattungskultur“ sowie von Kirchenkreisen und Gemeinden. 

Dezidiert wird einleitend auf die vielfältigen Bedeutungsebenen der christlicher Begräbnisplätze eingegangen; sind sie doch sowohl Trauerorte, als auch kulturelles Gedächtnis, Ortszentren, Seismographen für den Umgang mit dem Tod, Kulturlandschaften, Biotope, Zeichen dafür, "wie die Kirche das Zeitliche segnet" und nicht zuletzt auch ein Bestandteil der kirchlichen Ökonomie. 

Als Ziel der empirischen Fallstudie wird die exemplarische Ausleuchtung jener schleichenden Prozesse genannt, die zur Abnahme der Bestattungen führen. Nach vorher festgelegten Kriterien wurden zwölf Friedhöfe in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ausgewählt. Das Forschungsteam - Thomas Klie, Jakob Kühn, Reinhard Wienecke, Christine Börst und Valentin Menzel - besuchte ein Jahr lang diese Friedhöfe, führte vor Ort Interviews und sammelte Daten. Die wissenschaftlichen Grundlagen ihres Vorgehen werden in der Studie in einem eigenen Kapitel beschrieben. Die beiden Fragen "Von welchen Aspekten hängt die Zukunftsfähigkeit kirchlicher Friedhöfe ab?" und "Wie lässt diese sich herstellen und sichern?" waren dabei das Leitmotiv. 

Die Publikation selbst lässt sich dabei sozusagen von hinten aufzurollen. Nach einer ausführlichen Abhandlung der Ergebnisse und den Profilen der untersuchten Friedhöfe sind die Ergebnisse nämlich noch einmal für den "eiligen Leser" zusammengefasst und am Ende ist außerdem das Leitbild für den Umgang mit den kirchlichen Friedhöfen abgedruckt, das die Arbeitsgemeinschaft der Kirchenkreisbeauftragten für das Friedhofswesen in der Ev.-Luth. Kirch in Norddeutschland 2016 beschlossen hat. 

Es empfiehlt sich allerdings mit dem ausführlichen Kapitel "Ergebnisse und Kontexte" tiefer in das Thema einzusteigen. Dort werden die evangelischen Friedhöfe in allen ihren Aspekten als religionskulturelle Ort beschrieben. Die Frage der Kosten wird aufgeworfen, die den Umgang der Kirche mit dem Tod nicht einseitig bestimmen dürfen, besonders da ihre Finanzierungsform über Gebühren ins Wanken geraten ist. Verschiedene Modelle der Friedhofsverwaltung - zum Beispiel durch Zusammenlegung in Form von Friedhofsgewerken - werden vorgestellt und es wird auf die Bedeutung einer klaren konzeptionellen Entwicklungsplanung hingewiesen. Auch auf die noch herrschenden Gestaltungsnormen wird eingegangen und ein Finger in die Wunde gelegt, wenn es heißt: "Es sind längst nicht mehr alle, die dieses paternalistische Gebaren wie selbstverständlich hinnehmen und sich in ein kaum mehr verstandenes Normenkorsett fügen" (S. 32) oder ein weiteres Streitthema damit kommentiert wird, dass sich weder in der Bibel noch bei Luther der Hinweis finden lässt, dass jede Grabstelle mit dem Namen des Verstorbenen gekennzeichnet sein muss (S. 34). Explizit wird dann eingefordert, dass in Zukunft auf Friedhöfen nicht eine Verbots- sondern eine "Ermöglichungskultur" herrschen müsse. 

Weitere Themen sind eine Infrastruktur, die zum Verweilen einladen sollte; eine Veranstaltungskultur, die Friedhöfe auf neue Weise in das Bewusstsein der Gemeinden heben kann und eine neue Sichtbarkeit, die auch für kleinere Friedhöfe, wenn sie "überleben" wollen, mit Eigenwerbung und Selbstdarstellung im Internet einhergeht. Dazu gibt es dann in einem gesonderten Kapitel eine ganze Reihe nützlicher Hinweise für Friedhofsträger. Auch auf das Thema der Anonymität auf dem Friedhof wird im Rahmen der Darstellung der Ergebnisse noch einmal vertieft eingegangen. 

Die auf die Ergebnisse folgenden zwölf Friedhofsprofile sind dann alle nach dem gleichen Schema aufgebaut und geben sowohl guten Einblick in die jeweilige Gestaltung und Verwaltung, als auch über die Aktivitäten, die verschiedene Gemeinden schon im Zusammenhang mit ihrem Friedhof aufgebaut haben. Bei den Hinweisen für die Zukunftsfähigkeit fällt allerdings doch eine gewisse Gleichförmigkeit der Vorschläge auf. 

Insgesamt aber kann man diese Studie nicht nur den Kirchengemeinden empfehlen, sondern auch allen anderen Trägern, die über die Zukunft ihres Friedhofs nachdenken (müssen). Sie enthält eine Fülle von wichtigen Fragestellungen und nützlichen Anregungen, die zur Auseinandersetzung mit der gegenwärtig immer mehr zunehmenden "Friedhofsflucht" auffordern. Nur eine solche öffentliche Diskussion um die Frage, wofür Friedhöfe in Zukunft gut sein sollen und warum diese gemeinsamen Orte der Bestattung und des Gedenken für die jeweilige Gemeinde - und hier sind sowohl kirchliche wie kommunale Gemeinden gemeint - wichtig und zu erhalten sind, kann dazu führen, dass dieses Kulturerbe in seiner Bedeutung erkannt, genutzt und gepflegt wird.  

Thomas Klie, Jakob Kühn, Reinhard Wienecke, Frank Hamburger, Friedhof & Leben. Eine Pilotstudie zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit kirchlicher Friedhöfe. Theologische Fakultät Rostock, Rostock 2020, 135 S., zahlr. farbige Abb., zu beziehen über die Theologische Fakultät Rostock, Kontakt:
Professor Thomas Klie, Universität Rostock, Theologische Fakultät, thomas.klie@uni-rostock.de