Cover von Maja Linnemann, Letzte Dinge |
Sie schreibt in ihrem Vorwort: " Ich nehme Sie in diesem Buch mit auf die Erkundungsreisen, die ich unternommen habe, um einige Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Was geschieht mit den rund zehn Millionen Menschen, die jedes Jahr in der VR China sterben? Wo kommen die vielen Toten hin, auf dem Land, in den Kleinstädten und Metropolen? Welche Formen der Bestattung gibt es? Welche Entscheidungen treffen die Angehörigen? Wie sind die Einstellungen zum Tod? Und wie läuft eine „normale“ Trauerfeier ab? Was sind die neuen Trends? Was beinhaltet die Bestattungsreform? Welche gesetzlichen Regelungen bestimmen den Umgang mit den Toten, welche traditionellen Rituale, die zu zerschlagen sich die Bestattungsreform zum Ziel gesetzt hat, haben 'überlebt', sich angepasst oder wurden durch welche neuen Rituale ersetzt? Wie sehen die Friedhöfe aus?"
Mit allen diesen Themen setzt die Autorin sich in den folgenden neun Kapiteln auseinander. Sie lässt uns - auch bildlich - an einer Bestattungsfeier auf dem Lande teilnehmen und berichtet von der Kremierung ihres Schwiegervaters in der Großstadt Yinchuan und der Bestattung seiner Asche in seinem Heimatdorf. In einem Exkurs gibt sie einen Überblick über die lange Bestattungsgeschichte des riesigen Landes und zeigt, in wieweit die von der Partei propagierte Reform der Bestattungstraditionen Wirkung gehabt hat und welche traditionellen Formen - wie das Verbrennen von Papiergeld und -figuren - noch heute üblich sind. Sie nimmt den Leser/die Leserin mit auf unterschiedliche Friedhöfe angefangen mit den traditionellen Familiengräbern in Südchina, die in Form eines liegenden Omegas noch heute viel Platz einnehmen, bis hin zu einem gemeinnützigen Friedhof im Pekinger Stadtgebiet, auf dem die Grabstellen als kleine Erdhügel hervortreten. Dabei erfährt man unter anderem auch, dass die Umbettung von Gräbern und damit die Aufhebung von Friedhöfen in China "im Zuge des immensen Wirtschaftsbooms in den vergangenen zwei Jahrzehnten gigantische Ausmaße angenommen" hat (S. 121). Besondere Aufmerksamkeit erhalten in China offensichtlich die sogenannten Märtyrerfriedhöfe, die es beinahe in jeder Stadt gibt und die nach Ansicht der Autorin mehr oder weniger mit unseren Soldatenfriedhöfen vergleichbar sind. Sie wurden für jene Menschen errichtet, die in den revolutionären Kämpfen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für den neuen Staat, der 1949 gegründet wurde, gekämpft hatten.
Die letzten drei Kapitel führen dann zu einzelnen Gräbern berühmter Persönlichkeiten, zeigen, wie, wann und warum Ausländer in diesem Land ihre eigenen Friedhöfe erhielten und berichten von der Entwicklung der Bestattungsbranche und ihren teilweise von den europäischen Gepflogenheiten doch deutlich abweichenden Angeboten - gezeigt wird z.B. die Ausstattung der Kategorie „Gehobenes Brandopfer“ für die Dame, ein quietschbuntes Set mit Kamm und Spiegel, aber auch Sonnenbrille, Lippenstift, Uhr und Handy aus Papier. Der Hinweis auf Quellen und weiterführende Literatur runden das Werk ab, das ich als Einführung in die chinesische Welt der Toten unbedingt empfehle, denn es liest sich abwechslungsreich, ist interessant bebildert und belehrt die Leserin nicht von oben herab, sondern nimmt sie mit auf eine ganz spezielle Reise durch das Land der Mitte.
Wer übrigens schon einmal einen Einblick in das Buch bekommen will, sei auf den Beitrag hingewiesen, den Maja Linnemann sozusagen vorab in zwei Teilen in unserer Zeitschrift "Ohlsdorf - Zeitschrift für Trauerkultur" veröffentlicht hat (Teil I, Teil II)
Maja Linnemann, LETZTE DINGE - Tod und Bestattungskultur in China. Drachenhaus Verlag,ca. 300 Seiten, zahlr. farbige Abb. € 24,00