Herbst auf dem Ohlsdorfer Friedhof (Foto Britta Heitmann 2020) |
Untersucht wurden kleine chinesische Bestattungsplätze innerhalb von Getreidefeldern, die nur einem zum Qingming Fest von den Angehörigen besucht werden, so dass sich ansonsten die Natur ungestört entwickeln kann. Sie sind nicht nur friedliche Orte der Erinnerung an die Vorfahren, sondern auch "botanische Miniaturkonserven", heißt es in dem Artikel: Selbst die kleinsten Grabstätten tragen dazu bei, Flecken von relativ unberührtem Lebensraum in einer der am stärksten bewirtschafteten Regionen Chinas zu erhalten, so dass die untersuchenden Biologen von der unerwarteten Einzigartigkeit und Vielfalt der Pflanzenbeeindruckt waren. Für die der Aussage zugrundeliegende Studie wurden Pflanzenerhebungen auf 199
Familienfriedhöfen, die inmitten von Weizenfeldern liegen, in der Provinz Hebei in China durchgeführt. Sie
hatten eine Fläche von zwei bis 400 Quadratmetern. Zum Vergleich wurden Pflanzen in zufällig ausgewählten Parzellen
ohne Bestattungen auf den Weizenfeldern und an den Feldrändern hinzugezogen. Fast die Hälfte aller Friedhofspflanzen waren wichtige
Nahrungsressourcen für Insektenbestäuber. Auf den
Weizenfeldern war dagegen nur rund ein Drittel der einheimischen
Pflanzenarten insektenbestäubt.
Und obwohl die Feldränder die gleiche Gesamtzahl an Pflanzenarten
enthielten wie die Friedhöfe, wurden dort nur etwas mehr als ein Viertel davon
von Insekten bestäubt. Die Friedhöfe zeigten auch eine größere
Artenvielfalt an jedem Standort als die Ränder. Damit können Friedhöfe ein stabiles Zuhause für Insektengemeinschaften sein.
Offenbar, so heißt es in dem Artikel weiter, erkennen die Forscher gerade erst die Rolle von Grabstätten als Schutz der biologischen Vielfalt. So fand man auf Friedhöfen in der Türkei seltene Orchideen und auf Bestattungsplätzen in Bangladesch eine Vielzahl von Heilpflanzen entdeckt. In der Ukraine wurden alte Grabhügel gefunden, bei denen die letzten Überreste der schwindenden Steppenwiesen Europas Schutz finden. In Bundestaat Illinois der USA tragen mehr als 40 Friedhöfe, auf denen frühe europäische Kolonisten begraben wurden, die gefährdete Prärievegetation, die durch moderne landwirtschaftliche Praktiken weitgehend ausgelöscht ist. Fast die Hälfte von Ihnen ist durch die Nature Preserves Commission (INPC) geschützt. Sie gelten sozusagen als "Zeitkapseln", die eine etwas veränderte Version der Landschaft zeigen als die, welche die europäischen Siedler vorfanden.
Die Studien zeigen, wie wichtig es ist, auch kleinste Flecken von Nichtkulturvegetation in landwirtschaftlichen Gebieten zu erhalten. Zu hoffen ist, dass die Ergebnisse Landwirte und politische Entscheidungsträger ermutigen, Friedhöfe nicht nur wegen ihres kulturellen, sondern auch und besonders wegen ihres ökologischen Wertes besonders in solchen Gebieten zu erhalten, in denen die industrielle Landwirtschaft oberste Priorität hat. Wie weit solche Erkenntnisse auch für deutsche historische Friedhöfe wichtig sind, die ja auch ökologische Nischen - allerdings oft in der Stadtnatur - bilden, ist nach meiner Kenntnis noch nicht untersucht worden.