Mittwoch, 25. August 2021

Aux morts - Grabskulptur in Dresden 1880-1930

Coverbild des Buches "Aux morts"
Dieses großformatige Buch ist für Taphophile - also Freunde der Grabmalkultur - ein echter Lese- und Schaugenuss. Vorgestellt werden in Text und Bild über achtzig Grabplastiken, die auf verschiedenen Dresdener Friedhöfen anzutreffen sind. Sie sind chronologisch nach dem Lebensalter ihrer Schöpfer angeordnet. Für alle, die es unbedingt gegendert haben wollen: Unter die insgesamt fünfzig im Text genannten Künstler mischen sich mit Clothilde Schilling, Julie Genthe und Jenny von Bary-Doussin (Doussin-Ott) immerhin drei Bildhauerinnen! 

Eine kenntnisreiche Einleitung führt in die Entwicklung der Grabmalkunst und gibt einen Überblick über die Werke, denen die nachfolgenden Seiten gewidmet sind. Ein abschließender Beitrag von Astrid Nielsen befasst sich mit den Denkmalen für die Gefallenen und das Erinnern an den Ersten Weltkrieg in Dresden. Der heutige Umgang mit den Kunstwerken wird schließlich von Beatrice Teichmann mit einem Aufruf zur Übernahme von Grabmalpatenschaften thematisiert. 

Zwischen diesen Polen werden die gezielt ausgesuchten Grabmalplastiken in Wort und Bild vorgestellt. Dazu hat der Autor großartige Fotos beigesteuert, denen man anmerkt, dass Tages- und Jahreszeit mit ihren jeweiligen Belichtungsverhältnissen genau abgepasst wurden, um die einzelnen Skulpturen, die Grabmale in ihrer Gesamtheit und ebenso die liebevoll ausgesuchten Details an ihren angestammten Plätzen leuchten zu lassen.

Die Texte informieren ausführlich sowohl über die Künstler und Künstlerinnen, wie über die Bestatteten. Dazu kommt eine kenntnisreiche Einordnung der Werke in die zeitgenössische Kunstentwicklung und speziell in die Grabmalkunst. Berühmte Vorläufer zu einzelnen Werken werden zitiert, wie z.B. das "antike Weihrelief des Strengen Stils, auf dem in ganzer Figur die so genannte 'Trauernde (oder Sinnende) Athene' abgebildet ist", die Vorbild für eine schlichte Stele mit dem Kopf der Athene mit Speer im Halbrelief von Karl Albiker war (S. 157). Die Texte schließen auch die Aufstellung von Kopien und ihre industrielle Reproduktion - besonders im Bereich der Galvanoplastik - mit ein und erlauben so eine Vielzahl von Bezügen zu anderen Friedhöfen.

(Es sei eine persönliche Anmerkung erlaubt: Mir gefällt natürlich besonders gut, dass das zweibändige Werk über den Ohlsdorfer Friedhof, an dem ich einst federführend mitgearbeitet habe, ausführlich für Referenzen genutzt worden ist.)  

Natürlich werden in diesem Buch hauptsächlich in Dresden ausgebildete und/oder vor Ort lebende  Bildhauer vorgestellt. Wie überall haben die Auftraggeber und Auftraggeberinnen die örtlichen Künstler bevorzugt. Doch erhält man zugleich einen guten Überblick über die wichtigsten deutschen Zentren der Bildhauerkunst um 1900 und ihre Protagonisten, zu denen u.a. Künstler wie Johannes Schilling, Gustav Eberlein, Adolf von Hildebrand, Wilhelm Wandschneider, Georg Wrba und Hugo Lederer gehörten Auffällig ist dabei, dass sich unter den Werken nur eines befindet, das von einem italienischen Künstler geschaffen wurde, obwohl die Grabmalplastik in Italien in dieser Zeit in hoher Blüte stand. 

Insgesamt ist dieses Buch über die Grabskulptur in Dresden eine echte Bereicherung auf dem Feld der sepulkralen Kultur- und Kunstgeschichte.


Andreas Dehmer, Aux Morts : Grabskulptur in Dresden 1880-1930, Verlagsgruppe Schnell&Steiner, Regensburg 2020, zahlr. farbige Abb. 35,00 Euro