Titelseite: Scheidig, Vom Kirchhof zum Friedhof |
Auch Scheidig befasst sich in seiner Publikation hauptsächlich mit der ersten Verlegungswelle der Friedhöfe seit den Ende des 18. bis in das 19. Jahrhundert hinein, auch wenn er zwischendurch bis in die Reformationszeit zurückgeht. Sein Forschungsgebiet ist die Entwicklung der Sepulkralkultur im Mecklenburger Raum, wobei er von einzelnen Begräbnissen des Adels im Landschaftspark ausgeht, in einem längeren Kapitel die Friedhofsentwicklung im allgemeinen und dann diejenige von 15 ausgesuchten unterschiedlich großen Städten darstellt. Anschließend geht er in vier sogenannten Fallstudien ausführlicher auf die Friedhofsentwicklung in Schwerin, Rostok, Parchim und Wismar ein und ruft am Schluß eindringlich zum Erhalt des sepulkralen Kulturerbes auf.
Beim Lesen wird deutlich, dass der Autor intensive Quellenstudien betrieben hat. Besonders zu den einzelnen Friedhofsverlegungen werden ausführliche Zitate aus amtlichen Archivalien eingefügt. Dabei wird hervorragend nachvollziehbar, wie aktuell um 1800 auch in Mecklenburgs Städten die Problematik der Überfüllung der Kirchhöfe, ihr teilweise erbamungswürdiger Zustand und die allgemeine Angst vor ihren schädlichen Ausdünstungen gewesen sind. Damit ist dieses Buch eine wahre Fundgrube von historischen Informationen zum Thema Friedhofsgeschichte. Aber nicht nur dazu auch sozialhistorische Aspekte werden angerissen, wenn es in Exkursen zur Rostocker Friedhofsgeschichte zum Beispiel um die Grabstätten der in Deutschland verstorbenen französischen Gefangenen von 1870/71 (S. 130) oder um die Bestattung von Selbstmördern (S. 128) geht
Allerdings ist das Lesen der Texte nicht immer ein wirkliches Vergnügen. Der Autor liebt verschachtelte Sätze, bei denen man sich abmühen muss, den grammatikalischen Zusammenhang zu finden - wenn er denn da ist. So schreibt er z. B. über den ersten Schweriner Friedhof vor den Toren der Residenzstadt, nachdem er einen Befehl des Herzogs zur Friedhofsverlegung erwähnt: "Dieser Willensakt des seit 30. Mai 1756 regierenden Herzog Friedrich II. ist im Kontext der europäischen Aufklärung <...> und der Entwicklung und Verbreitung von deren Grundanforderungen <...> wie etwa der Humanisierung des Strafvollzuges (u.a. Abschaffung der Folter <...>) und der Justiz, der Alphabetisierung und nicht zuletzt der Hebung von Hygiene und Gesundheit der Bevölkerung ein interessanter Aspekt, das der Reformabsolutismus durch obrigkeitliche Interventionen überkommene altständische Strukturen aufbrach und fortschrittliche Maßnahmen nicht nur bezogen auf die katastrophalen Hygienebedingungen städtischer Begräbnisplätze durchsetzte." (S. 93-94, Anmerkung d.V.: ausgelassen und durch <...> gekennzeichnet sind hier die Textanmerkungen)
Und das ist nicht die einzige Stelle im Text, die mir Kopfzerbrechen verursacht hat. Auch der Gebrauch des Wortes "sepukral" hat mich zwischendurch immer wieder irritiert. Bisher kannte ich weder die "Sepullokrologie" (S.5 Einleitung), noch Zusammensetzungen wie Sepukralkörper (S. 119) als Synonym für Grabmal oder Sepulkrallokal (S. 136) für Friedhof und ähnliche Wortschöpfungen.
Der Abhandlung merkt man auch an, dass es sich um die Neuauflage einer Untersuchung von 2006 handelt. Der Autor fußt neben seinem intensiven Quellenstudium hauptsächlich auf Sekundärliteratur aus dem 20. Jahrhundert. Neuere Litertur wie zum Beispiel die ausführliche Untersuchung zu den Mausoleen in Mecklenburg Vorpommern von Anja Kretschmer wurden offenbar nicht mehr berücksichtigt.
Insgesamt aber hat der Autor trotz dieser leichten Verdrießlichkeiten eine sehr verdienstvolle Studie zu einem Feld der Friedhofsforschung vorgelegt, das bisher weitgehend unbeackert war.
Dieter Scheidig,Vom Kirchhof zum Friedhof: Mecklenburgische Sepulkralgeschichte der Neuzeit: kultur- und sozialgeschichtliche Untersuchungen. Publisher Verlag Arbor-Thüringen, 2. Auflage 2014,199 Seiten, zahlreiche schw-w. Abb. . Erhältlich beim Autor: Dr. Scheidig, 98744 Meura, Ortstraße 34, e-mail: dieterscheidig(at)freenet.de