Reiner Sörries, Der Tod ist die Pforte zum Leben (Reichert Verlag) |
Dieser reichbilderte Band ist für mich geradezu zum Augenöffner geworden. Ehrlich gesagt, habe ich selbst die Eingangssituation von Friedhöfen bisher selten bewusst wahrgenommen. Das ändert sich gerade, wie meine Fotos des kleinen ländlichen Friedhofs um die Kirche von Bosau beweisen sollen.
Mit diesem neuen Buch, das der Autor nach eigenem Bekunden als Abschied aus der "Welt der Sepulkralkultur" verfasst hat, legt Sörries einen ausführlichen Überblick über die historische Entwicklung der Friedhofseingänge vor. Sein Anliegen ist es dabei zu zeigen, dass die "Türen, Tore und Portale, die den Weg zum Friedhof eröffnen, mehr sind als ein notwendiger Zugang von draußen nach drinnen. Sie bilden vielmehr zugleich eine symbolische Schwelle und erzählen davon, welche Bedeutung man dem Tod in unterschiedlichen Zeiten beimaß."
Verbunden ist dieses Anliegen mit einem gerüttelt Maß Kritik am heutigen Friedhofswesen. Denn der Verfasser will mit seinem Buch auch aufzeigen, "worunter unsere Friedhöfe heute leiden, nämlich an einer weit fortgeschrittenen Versachlichung. Die heute verbreiteten gesichts- und sprachlosen Friedhofseingänge belegen, dass unsere Friedhöfe keine Botschaft mehr haben, die Menschen unabhängig von Religion und Weltanschauung eigentlich erwarten." Mit seinem Werk will Sörries deshalb auch zum Um- und Nachdenken über die Friedhofsgestaltung anregen, denn, wie er es ausdrückt "der Eingang ist die Visitenkarte eines Friedhofs, und was hier nicht geschieht, das ereignet sich auch auf dem Friedhof nicht."
Friedhofseingang in Bosau: Auf dem schlichten linken Torpfeiler steht "WOHEN", auf dem hierabgebildeten rechten "NA HUS" (Plattdeutsch: Wohin? Nach Haus) (Foto Leisner) |
In mehreren Kapiteln werden dann die besonders reich ausgestalteten Eingangssituationen jener Zeit aufgefächert, als Friedhöfe "Zu Nutz und Trost der ganzen Gemein" neu eingerichtet wurden und die Portale nicht nur Träger christlicher Botschaften sondern zugleich auch bleibende Erinnerungszeichen für ihre Stifter und/oder Errichter wurden. Der Entwicklung in Wittenberg ist dabei ein Extrakapitel gewidmet. Weiter geht es dann zum "Sensenmann am Friedhofstor" und den Plastiken von Heiligen an den katholischen Toren aus Zeit der Gegenreformation. Es folgen die ersten Portale, die zeigen, dass das Zeitalter der Aufklärung nicht spurlos an den Friedhöfen vorübergezogen ist. In diesem Kapitel wird auch das besonders eindruckvolle Eingangsensemble des berühmten Dessauer Friedhofes thematisiert. Parallel dazu wird im folgenden Abschnitt der Gegenentwuf der Herrenhuter Brüdergemeine vorgestellt. Die folgenden Kapitel widmen sich der historistischen Gestaltung.
Gleich rechts hinter dem Tor ist in Bosau ein Findling mit der Infschrift aufgestellt: "Hier endet einmal jedermanns Weg" (Foto Leisner) |
Anzumerken ist, dass in allen Abschnitten nicht nur die Gestaltung der Tore vorgestellt und interpretiert wird, sondern dass sie stets in Verbindung mit ihrem ikonografischen Programm und ihren verbalen Aussagen als Ganzheit gesehen werden; ein Vorgehen, das den Leser gleichzeitig zu Lektüre und intensiver Bildbetrachtung einlädt. Deutlich an der Gestaltung und den Inschriften abzulesen ist dabei, wie die Friedhöfe im 19. Jahrhundert ihre spirituelle Aussagekraft immer mehr einbüßten und zu einer kommunalen Bauaufgabe - parallel zu den neuen Bahnhöfen und wichtigen Verwaltungsgebäuden - wurden. Ein "Blick in die Neue Welt" zeigt übrigens die weltweit fast theatralische Inszenierung der Friedhöfseingänge dieser Epoche.
Mit dem Kapitel "Staub bist du!" wendet sich der Autor den jüdischen Friedhöfen in Deutschland zu, die anscheinend keinen Sonderweg eingeschlagen haben, wenn man von einzelnen Beispielen absieht, die den Stil maurischer Bauten historisierend als Kennzeichen der eigenen Religion für sich beanspruchten. Dagegen sind die muslimischen Begräbnisplätze in Europa noch so selten, dass sich aus ihrer Gestaltung kein Trend ablesen lässt. Interessant ist dann die Interpretation der romantischen Friedhofsgemälde des 19. Jahrhunderts, die mit der Überschrift "Ein diffruser Hauch des Werdens und Vergehens" interpretiert werden.
Eine mir bisher unbekannte Verbindung von Friedhofseingängen mit Erinnerungsmalen für Gefallene füllt fast ein ganzes weiteres Kapitel. Mit Funktionalität und Transparenz geht es dann in die Moderne und bis in die Gegenwart, bevor die abschließenden Kapitel noch einmal zusammenfassend einen Überblick über die historische Entwicklung, sowie über die an Friedhofseingängen aufzufindenden Inschriften geben. Am Schluss wachen dann noch "Engel über den Friedhofseingang", denen der Autor nicht wirklich gewogen ist, wenn er schreibt, dass sie "zu allen Zeiten zu einer ebenso tröstliche wie letztlich doch unverbindlichen Gestaltung" verhalfen.
Insgesamt ist diese Untersuchung, die sich auf ein sehr reiches Beispielmaterial stützt, wegweisend für alle weiteren Forschungen zu diesem Thema. Mit ihr ist eine wichtige Lücke der Sepulkralgeschichte gefüllt. Alle weiteren Untersuchungen können auf dieser sicheren Basis aufbauen. Aber nicht nur die historische Forschung profitiert von dieser Arbeit. Dieses Buch muss besonders den Praktikern der Friedhofsgestaltung und -verwaltung ans Herz gelegt werden, da es mit einer Vielzahl von Beispielen vor Augen führt, welche überragende Bedeutung der Eingangsbereich zu dem "Ruheplätzen" der Toten besitzt. Das Plädoyer des Verfassers sich intensiver mit dieser symbolischen Schwelle zu befassen kann hier nur unterstrichen werden.
Sörries, Reiner, Der Tod ist die Pforte zum Leben. Die Geschichte des Friedhofseingangs vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Reichert Verlag 2016, 352 S., 333 farb. Abb., 8 s/w Abb., Gebunden 39,90 €
ISBN: 9783954901166